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75 Jahre Arbeiterschule. Eine Zeitreise 1946-2021

Diese Website wurde anlässlich des 75-Jahre-Jubliläums der Schweizerischen Arbeiterschule erstellt. Sie erzählt die Geschichte einer wichtigen gewerkschaftlichen Institution von 1946 bis heute und lässt in kurzen Videofilmen Ehemalige zu Wort kommen. Einleitend äussert sich Movendo-Präsident Pierre-Yves Maillard.






Die Ursprungs-Geschichte

1946 wurde die schweizerische Arbeiterschule gegründet. Sie bot einen siebenwöchigen Lehrgang für gewerkschaftliche Funktionäre und Vertrauensleute an.

Steigende Mitgliederzahlen nach dem Krieg

Es ist kein Zufall, dass die Arbeiterschule gerade 1945/46 entstand: Am Ende des Zweiten Weltkriegs stiegen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften stark und rasch. Dies ermöglichte die Gründung neuer und den Ausbau bestehender Gewerkschaftssekretariate, auch ausserhalb der städtischen Zentren. Die Zahl der angestellten Funktionäre nahm stark zu und damit das Bedürfnis, sie für ihre Aufgabe auszubilden.

Möglich machte dies die Anfang 1946 gegründete Stiftung Schweizer Arbeiterschule. Sie verfügte über ein Startkapital von 70'000 Franken, das auf zwei Schenkungen von Max Weber (1897–1974) zurückging. Um die Arbeiterschule breiter zu verankern und weitere finanzielle Mittel zu beschaffen, wurde im März 1946 zudem der Verein zur Förderung der Schweizer Arbeiterschule gegründet.

Die Vorgeschichte

Seit ihren Anfängen spielte die Bildung in der Arbeiterbewegung eine zentrale Rolle. Schon die ersten Vorläufer der Arbeiterorganisationen in der Schweiz, die deutschen Arbeitervereine und die Grütlivereine, waren in erster Linie Bildungsvereine.

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden mit den im Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) zusammengeschlossenen Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei (SPS) die wichtigsten Organisationen der Arbeiterbewegung. Auch für sie blieb die Arbeiterbildung ein wichtiges Anliegen.

Auf lokaler Ebene wirkten vielerorts von den Gewerkschafts- und Parteisektionen gemeinsam getragene Arbeiterbildungssauschüsse. Landesweit koordinierte ab 1912 der von SGB und SPS gemeinsam gegründete Schweizerische Arbeiterbildungsausschuss (SABA), die Bildungsarbeit. Seit der Verabschiedung eigener Statuten 1923 nannte sich diese Bildungsorganisation Schweizerische Arbeiterbildungszentrale (SABZ).

Die Arbeiterbildungsausschüsse und die SABZ organisierten in der Zwischenkriegszeit ein sehr reichhaltiges und vielfältiges Bildungsprogramm. Thematisiert wurden nicht nur politische und wirtschaftliche, sondern auch kulturelle und wissenschaftliche Fragen. Neben Kursen, Vorträgen und Studienzirkeln organisierten die Bildungsausschüsse auch Filmvorführungen und Studienreisen und betrieben Arbeiterbibliotheken. Ein Grossteil dieser Angebote richtete sich an die Masse der Gewerkschafts- und Parteimitglieder. Die SABZ bot aber auch – teilweise längerdauernde – Kurse für Vertrauensleute und Funktionäre an.

Doch gab es in der Schweiz – im Unterschied etwa zu den skandinavischen Ländern oder Belgien – keine systematische Ausbildung der Gewerkschaftsfunktionäre an einer eigentlichen «Arbeiterhochschule».

1946 als Neuanfang

Der 1946 erstmals durchgeführte «gewerkschaftliche Bildungsgang» der Arbeiterschule setzte sich zum Ziel, diese Lücke zumindest teilweise zu schliessen. Die Arbeiterschule blieb auch in den kommenden Jahrzehnten das wichtigste Instrument der gewerkschaftlichen Kaderschulung.

Das Verhältnis zwischen der SABZ und der 1946 gegründeten Arbeiterschule blieb sehr eng: Die SABZ selbst gründete die Stiftung. Ihr damaliger Präsident, Max Weber, hatte mit seinen grosszügigen Schenkungen an die SABZ die Stiftungsgründung erst ermöglicht. SABZ-Sekretär Hans Neumann wirkte auch als Kursleiter der Arbeiterschule, die generell von der SABZ organisiert wurde.

Die grosse Mehrheit der Gewerkschaftsfunktionäre waren bis zu ihrer Anstellung durch eine Gewerkschaft selbst als Arbeiter tätig. In ihrer Tätigkeit für die Gewerkschaften benötigten sie auch Kompetenzen, die sie nicht einfach aus ihrem bisherigen Berufsleben mitbringen konnten.

Die strategische Wichtigkeit der Ausbildung

Auf Seite der Unternehmerverbände standen den Gewerkschaftsfunktionären zudem oft bereits damals akademisch ausgebildete Funktionäre gegenüber. Die Arbeiterschule bot eine solide, von anerkannten Fachleuten vermittelte Grundbildung in Volkswirtschaft, Recht, Sozialpolitik, zu den unterschiedlichen Sozialversicherungen sowie zur Geschichte, Struktur und Organisation der Arbeiterbewegung.

Der Inhalt der Ausbildung

In den ersten Jahren war auch die Geschichte und Gegenwart der Genossenschaftsbewegung ein eigenständiger Kursteil. Der Kursblock «Organisationsaufgaben des Gewerkschaftsfunktionärs» vermittelte für den gewerkschaftlichen Alltag nützliche Kenntnisse beispielsweise zur Büroorganisation, Arbeitstechnik, Mitgliederwerbung, Verhandlungstaktik, Bewegungsführung und Versammlungsleitung. Auch die Fähigkeit, sich schriftlich und mündlich korrekt und verständlich auszudrücken, wurde in diesem eher «handwerklichen» Kursteil geübt.

Letzteres sollte es den Kursteilnehmern auch erleichtern, während des Lehrgangs Referate zu halten und schriftliche Arbeiten zu verfassen, die im didaktischen Konzept der Arbeiterschule eine wichtige Rolle spielten. Nach den Worten ihres ersten Leiters, Hans Neumann, sollte die Arbeiterschule nämlich nicht einfach über Frontalunterricht Wissen vermitteln, sondern «zu selbständiger Verarbeitung des Stoffes und eigenem Studium anleiten».

Zitat aus https://foerderverein-gss.ch/download.php?f=9d5ed36a7d7f828ef0c2a6f114659114

In den kommenden Jahren und Jahrzehnten fand der zwei jeweils vierwöchige Kurse umfassende deutschsprachige Lehrgang der Arbeiterschule in der Regel jedes Jahr statt.

Die Arbeiterschule für die Romandie

Im Mai 1947 fand erstmals ein französischsprachiger Lehrgang der École Ouvrière Suisse statt. Er wurde anfänglich von VHTL-Sekretär Pierre Aragno und SGB-Sekretär Jean Möri geleitet. Er wies eine kürzere Kursdauer auf und wurde weniger häufig durchgeführt als der deutschsprachige Lehrgang.

Die Perspektiven der Ausbildung

Ein grosser Teil der Absolventen trat entweder nach dem Besuch der Arbeiterschule eine hauptamtliche Tätigkeit als Gewerkschaftsfunktionär an oder stand schon vor und während ihrer Kursteilnahme in einem entsprechenden Anstellungsverhältnis. Einige übernahmen auch ausserhalb der Gewerkschaftsbewegung politische Verantwortung.

Zitat aus https://foerderverein-gss.ch/download.php?f=9d5ed36a7d7f828ef0c2a6f114659114

Der berühmteste Absolvent der Arbeiterschule war der gelernte Heizungsmonteur Willi Ritschard (1918-1983), der 1953 als damaliger Sekretär der Sektion Solothurn des Bau- und Holzarbeiterverbands (SBHV) die Arbeiterschule besuchte. Seine weitere Karriere führte ihn den Nationalrat, den Solothurner Regierungsrat und schliesslich in den Bundesrat. Ritschard präsidierte zudem lange Jahre den Förderverein und nach dem Tod von Max Weber auch den Stiftungsrat.

Willi Ritschard hält eine Rede am GTCP-Kongress in Luzern, 1978.

Der Ausbau der Ausbildung

Lange war zudem geplant, für die Durchführung der Arbeiterschule und weiterer Kurse der SABZ ein eigenes «Bildungsheim» zu erwerben, was sich aber schliesslich nie realisieren liess. Der erste Kurs wurde 1946 im Kurhaus Rüttihubelbad bei Worb (BE) durchgeführt.

Später fanden die Kurse in der Regel in den eigenen Ferienheimen der Gewerkschaften statt. So wurde der deutschsprachige Lehrgang ab 1951 meistens im 1950 eröffneten Ferienheim Rotschuo bei Gersau des Schweizerischen Bau- und Holzarbeiterverbands (SBHV) durchgeführt.

Die Gesellschaft verändert sich

Bereits während der langen Hochkonjunktur der drei Nachkriegsjahrzehnte und noch weit stärker unter dem Eindruck der in den Jahrzehnten danach eingetretenen Umbrüche der Arbeitswelt (Deindustrialisierung, Tertiarisierung) verlor das traditionelle Arbeitermilieu zahlenmässig an Bedeutung.

Umbennung in Gewerkschaftsschule

Wohl vor diesem Hintergrund wurde bereits in den 1970er Jahren der Lehrgang gelegentlich nicht mehr als «Arbeiterschule» sondern als «Gewerkschaftsschule» bezeichnet, allerdings setzte sich dies vorerst noch nicht durch.

Die definitive Umbenennung des Lehrgangs, der Stiftung und des Fördervereins in «Gewerkschaftsschule» – zur Diskussion gestanden hatte auch der Begriff «Gewerkschaftsakademie» – folgte 1992.

Der Stiftungsratspräsident und die Bildungsverantwortlichen begründeten diesen Schritt in erster Linie damit, dass «im Rahmen einer gezielten Frauenförderung, in den Schriften und Bezeichnungen der gewerkschaftlichen Organisationen geschlechtsneutrale Namen zu verwenden» seien. Ebenfalls in den 1990er Jahren wurde der deutschsprachige Lehrgang neu in vier zweiwöchige, statt wie bisher zwei vierwöchige Kurse eingeteilt.

Die Gewerkschaftsschule in Zahlen

Bis zu ihrem 50. Jubiläum 1996 bot die Arbeiter- beziehungsweis Gewerkschaftsschule 41 achtwöchige deutsch-, 16 fünfwöchige französisch- und drei einwöchige italienischsprachige Lehrgänge an, die von über 1'100 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern besucht wurden.

Movendo – Schritte zur Modernisierung

2001 trat das neugegründete gewerkschaftliche Bildungsinstitut Movendo an die Stelle der SABZ. Die Kurse der Gewerkschaftsschule wurden in «Lehrgang Management in politischen und sozialen Organisationen» (später «Management in gewerkschaftlichen Organisationen») umbenannt. Dieser wird – wie die Kurse für gewerkschaftliche Vertrauensleute – von der bis heute bestehenden Stiftung Gewerkschaftsschule und ihrem Förderverein finanziell unterstützt.

Movendo strebte die Anerkennung des Lehrgangs als Abschluss der höheren Berufsbildung durch den Bund an, was schliesslich auch gelang. Die entsprechende Berufsprüfung konnte 2010 erstmals durchgeführt werden.

Nach einer grundlegenden Reform erfolgte 2018 eine weitere Umbenennung in «Lehrgang Gewerkschaftssekretärin / Gewerkschaftssekretär».

© Movendo
Text: Adrian Zimmermann
Koordination: Valérie Boillat
Design/Programmierung: raschle & partner